Eine Motion will den Bundesrat mit einer Gesetzesänderung beauftragen, durch die es Menschen mit Behinderungen ermöglicht werden soll, ihre Wohnform und ihren Wohnort frei zu wählen. Ihnen diese Freiheit zu verwehren, steht im Widerspruch zur UNO-Behindertenrechtskonvention (UNO-BRK) und bringt Menschen mit Behinderungen in kafkaeske Situationen. Die Motion muss noch vom Parlament angenommen werden.
Da die Finanzierung des Wohnens kantonal geregelt wird, ist es für Menschen mit einer Behinderung oft unmöglich, aus ihrem Wohnkanton in einen anderen Kanton umzuziehen. Diese Erfahrung machte auch Lucien Favero*, der eine mehrfache Behinderung hat. In der Zürcher Einrichtung, in der er tagsüber arbeitet, hat er sich auf die Warteliste für einen Wohnplatz setzen lassen und wohnt solange weiterhin bei seinen Eltern. Diese haben nun aber ihre Traumwohnung im Kanton Thurgau gefunden, nur wenige Kilometer von der Kantonsgrenze entfernt. Nach dem Bundesgesetz über die Institutionen zur Förderung der Eingliederung von invaliden Personen (IFEG) ist der Kanton Thurgau dafür verantwortlich, Lucien bei der Wohnungssuche zu unterstützen, wenn er mit den Eltern dorthin umzieht. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass der Kanton Thurgau einen Platz in der Zürcher Institution, der ersten Wahl von Lucien Favero*, finanzieren wird. Er müsste nicht nur auf seine zukünftige Wohnung verzichten, sondern auch auf seine derzeitige Arbeit, die ebenfalls von kantonalen Finanzierungen abhängt.
Die im Januar von der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats (SGK-N) eingereichte Motion, die auf das IFEG abzielt, will diesen Missstand korrigieren. Menschen mit Behinderungen sollen die Möglichkeit erhalten, frei und selbstständig zu entscheiden, wie und wo sie wohnen möchten. Sie sollen auch die dafür notwendige Unterstützung erhalten.
Ein Gesetz mit negativen Auswirkungen
Als das IFEG 2008 in Kraft trat, war die Idee klar: Die Kantone müssen jeder Person mit einer Behinderung einen Platz in einer Institution garantieren. Diese Bestimmung erschwert jedoch die Finanzierung des Wohnens zu Hause und die Entwicklung von Alternativen zum Leben in einer Institution seitens der Kantone. Viele Menschen leben daher notgedrungen in einer Einrichtung, ohne ihre Mitbewohnenden oder ihren Lebensstil wählen zu können, weil es dafür keine Finanzierung oder Unterstützung gibt.
Die von der SGK-N vorgeschlagene Motion, die zuerst noch vom Parlament angenommen werden muss, damit sie überwiesen werden kann, ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. insieme Schweiz wird sich im weiteren parlamentarischen Prozess zusammen mit Inclusion Handicap weiterhin dafür einsetzen, dass Menschen mit Behinderungen endlich wählen können, wie, wo und mit wem sie leben wollen.
*Pseudonym, die Identität ist insieme Schweiz bekannt