Therapieren statt integrieren?

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Im Beitrag „Medikamente gegen geistige Behinderung“ in der NZZ am Sonntag vom 13. November wird über eine klinische Studie berichtet, die das Basler Pharmaunternehmen Roche seit kurzem an Menschen mit Down-Syndrom durchführt. Walter Bernet, Zentralpräsident von insieme, nimmt kritisch Stellung.

Getestet wird ein neuer Wirkstoff, der in die Hirnchemie eingreifen und Denkprozesse und Verhaltensprobleme beeinflussen soll. Die Forscher stellen in Aussicht, dank der neuen Substanz die kognitiven Fähigkeiten bei Menschen mit Down Syndrom verbessern zu können. Der Leserschaft wird suggeriert, die Betroffenen wären nach der Behandlung unabhängigere und besser integrierte Menschen.

Walter Bernet, Zentralpräsident von insieme, hält dazu kritisch fest:

„Eine gute gesundheitliche Versorgung muss Menschen mit geistiger Behinderung, wie allen, zustehen. Eine gezielte Forschung, die sich auch der gesundheitlichen Probleme von Menschen mit geistiger Behinderung annimmt und gute, auf spezifische Behinderungsformen zugeschnittene Therapien entwickelt, können wir nur begrüssen.

Die medizinische Behandlung als Schlüssel zur Integration darzustellen, wie dies im NZZ-am Sonntag-Beitrag geschieht, ist höchst fragwürdig. Diese Argumentation folgt, im Gegenteil, einer Logik des Ausschlusses. Menschen, die sich aus bestimmten Gründen nicht therapieren lassen können oder wollen, Menschen, für die die Medizin keine Therapie bereithält, „Unheilbare“  haben in diesem Denken keinen Platz.

Integration ist nicht Aufgabe der Medizin, sondern Aufgabe der gesamten Gesellschaft. Wir Eltern und Angehörigen kämpfen seit langem für die Integration unserer Söhne und Töchter: Dafür, dass auch sie ihr Leben möglichst eigenständig gestalten können. Dazu müssen wir nicht die Menschen ändern. Wir müssen ihnen vielmehr die Türen zur Schule, auch zur Regelschule öffnen. Wir müssten für alle behinderten Jugendlichen die Chance auf eine berufliche Ausbildung schaffen. Und wir müssten ihnen Wahlmöglichkeiten anbieten, wo und mit wem zusammen sie leben und wohnen möchten – indem wir ihnen die nötige Assistenz zusichern.

Mit Bedauern muss ich hier leider feststellen, dass die Umsetzung wichtiger und notwendiger Integrationsmassnahmen immer wieder am politischen Willen und am Argument fehlender Finanzen scheitert. Dagegen hilft kein medizinischer Fortschritt“.