Der Name Gustav steht nicht nur für einen begnadeten Sänger und Musiker, sondern auch für einen Brückenbauer zwischen den Landessprachen, Kulturen und Menschen. Ein Mann, der nicht nur die schönen Seiten des Lebens besingt, schon mal über die Thujahecke in Nachbars Gärtchen schielt und mit Witz und Verve den musikalischen Bogen vom Alltäglichen zum Schwelgerischen spannt.
Pascal Vonlanthen – so steht es in Ihrem Pass. Wie kam es zu Gustav?
Als ich mich vor mehr als zehn Jahren von meinen Jugendbands verabschiedet hatte und etwas Eigenes auf die Beine stellen wollte, suchte ich mir einen Bühnennamen. Irgendwie fand ich es damals nicht so toll mit meinem bürgerlichen Namen aufzutreten. Gustav war Name und Programm zugleich. Er hat zum ersten Album „Gustav und das Kummerorchester“ und zur ersten Tour gepasst. Es war früher eine Bühnenfigur, eine Projektionsfläche, ein Gefäss für meine kreativen Ergüsse. Jedes Album ist auch ein bisschen Selbstfindung und nach sechs Alben kann ich von mir behaupten, dass Gustav und Pascal derselbe ist. Eigentlich müsste ich mich heute GusPal nennen oder PasGu oder GusCal oder…
Die Produktion Ihrer neuen CD „666“ war ein hartes Stück Arbeit, liessen Sie während dessen Entstehung verlauten.
Das kann man sagen. Den wenigsten Hörern ist bewusst, was für eine Knochenarbeit es ist, ein Album zu machen. Heute gibt es ein derart grosses Überangebot von Musik, dass die Wertschätzung dieser Arbeit viel zu geringist. Schade und frustrierend, aber es ist einfach eine Entwicklung unsere Gesellschaft, die man als Musiker akzeptieren muss. Als das Album fertig war, habe ich mich leider nicht richtig erholen können, da ich anschliessend meine Tour vorbereitet habe. Ich spüre die Anstrengung der letzten Monate schon ein bisschen in den Knochen, aber meine Arbeit als Musiker macht mir unglaublich Spass und das gibt auch immer wieder neue Kraft.
„666“ – ein Titel mit Erklärungsbedarf.
Es ist mein 6. Album, 6 Lieder auf deutsch, 6 auf französisch. Das ist die kurze Erklärung. Die lange würde dieses Interview sprengen… nur in paar Sätzen: meine Musik ist immer an ein Konzept geknüpft, das sich im Albumtitel wiederfindet. 666 stellt umgekehrt die Zahl 999 dar, bei den Numerologen sind dies Zahlen, die für das Böse und für das Gute stehen. Gegensätze also. Hell und dunkel, leicht und hell etc. Dort, wo Gegensätze aufeinander treffen, entstehen spannende Geschichten, die ich auf meinem Album einzufangen versucht habe. „666 oder 999“ ist aber auch ein ganz persönliches Album, da ich nach „jardins de mon coeur“ zwei sehr intensive Jahre erlebt hatte, in denen ich grosse Freud und schmerzhaftes Leid erfahren musste oder durfte. Diese starken Erfahrungen haben die Musik für mein neues Album klar beeinflusst. Musik schreiben als Psychotherapie sozusagen.
Vulnerabilinstabilitätseelenluftzug, das ist laut eigenem Bekunden Ihr Problem. Eine Diagnose mit Heilungschancen?
Ich bin ein sehr authentischer, ehrlicher und spontaner Songwriter. Ich suche nicht nach Hits, sondern schreibe Lieder über meine Sichtweise auf die Welt, meine Empfindungen, meine Gedanken, meine Wünsche, Träume, Ängste etc. Eine Arbeit, für die man ein Gefühl entwickeln muss. Ich muss zuerst etwas fühlen, bevor ich darüber schreiben oder singen kann. Ich will den Leuten nicht ein Gefühl vorgaukeln, sondern das Erlebte in einen Song verpacken, damit sie es wieder auspacken können. Wer etwas fühlen will, muss sich nun mal öffnen, muss sensibel sein, sein Umfeld in sich reinlassen. Wenn ich kreativ bin, suche ich diese Öffnung nach innen und aussen, da geht alles rein und kommt alles raus. Ein scheiss Gefühl manchmal, da einem alles irgendwie weh tut. Zum Glück kann ich mich dann wieder verschliessen, aber geheilt wird man nie davon – besser gesagt, ich will nicht davon geheilt werden, dieser Prozess ist ein sehr wichtiger Teil meines Schaffens.
Welcher musikalischen Sparte ordnen Sie sich zu?
Ich mache keine Spartenmusik, ich richte meine Musik nach einem Konzept. Wenn das Konzept eine Sparte Musik zulässt, dann schreibe ich halt einen Song, der nach Tango oder Walzer oder Rock oder was weiss ich, klingt. Ich bin ein freigeistiger Musiker, der Musik in all seinen Facetten liebt.
Wie wichtig ist Ihnen der Text bei einem Song?
Früher hatte der Text keine grosse Bedeutung, ich wusste auch oft nicht, über was ich schreiben sollte, habe einfach mal drauflos geschrieben und irgendwas erfunden. Heute ist mir ein Text sehr wichtig. Ich teile das Songwriting auch in zwei Prozessen auf: im ersten Teil mache ich Musik, sehr spontan „aus dem Ranzen“ heraus spiele ich einfach drauflos, suche Melodien, Harmonien, Rhythmen, eine Arbeit, die kein Hirn braucht, sondern das Herz, ein Gefühl eben. Wenn die Musik fertig ist, bereite ich mich aufs Texten vor. Ich lese viel, durchforste meine Notizbücher, suche nach Geschichten, die ich erzählen möchte. Diese Arbeit ist völlig anders, sie ist intellektuell. Ich sitze und schreibe an meinem Pult, gebückt über dem Computer, brüte über einer Textzeile, schreibe ein Wort, einen Satz. Nach und nach entstehen Gedichte, die sowohl inhaltlich wie auch rhythmisch zur Musik passen müssen – manchmal ein unglaublich nervenaufreibenden Prozess. Ich verbringe viel mehr Zeit an einem Text, als für die Musik. Die französischen Songs mache ich mit einem welschen Songschreiber zusammen.
Ihre Lieder navigieren zwischen kindlicher Unbeschwertheit, bübischem Schalk und scharfzüngigen Kommentaren. Wie reagiert das Publikum auf diese nicht immer leicht verdauliche Kost?
Meine Texte sind keine schwere Kost. Ich versuche nicht zu inhaltsschwer zu sein, aber auch nicht zu oberflächlich. Die Musik ist auch eher leichte Nahrung, finde ich. Es ist ja oft die Einfachheit eines Songs, die das Publikum schnell versteht und es befreit, damit es mitsingt, mittanzt und einen tollen Konzertabend erlebt schlussendlich ist es das, was alle wollen, Musiker, Publikum und Veranstalter.
Am 11. September sind Sie auf der Bühne im Stade de Suisse zu sehen, vor einem Publikum mit Menschen mit und ohne Behinderung. Ihr erstes Konzert dieser Art?
Nein, glaube nicht. Ist ja auch ehrlich gesagt egal. Ich mache Musik, die keine Grenzen oder Behinderungen kennt. Ich war zwar schon mal speziell eingeladen worden für einen Auftritt im insieme-Treff in Oerlikon. Der eine dort hat dauernd hineingebrüllt, er wolle Toni Vescoli, der freche Hund! Ich habe ihn genötigt, mit mir auf der Bühne eine Rassel zu spielen, dann war er endlich still. Er hat mich dann nach dem Konzert im Pingpong so richtig zur Schnecke gemacht.
Was tut Gustav in den letzten zehn Minuten vor einem Live-Auftritt?
Ich wärme meine Stimme mehr schlecht als recht auf, pumpe das Adrenalin in die Venen, mache ein paar Hüpfsprünge, zwei drei Anweisungen an die Band, die dann sowieso keiner mehr weiss, dann wünsche ich allen viel Spass, die Band geht auf die Bühne, macht etwas Lärm, ich mache hinter dem Vorhang fast in die Hose vor lauter Aufregung, dann 1, 2, 3 padabadabadaba BUM – das Konzert fängt an.
Auf Senslerdeutsch liesse sich vortrefflich fluchen, für romantische Balladen eigne sich das Französische besser, gaben Sie einst zu Protokoll. Dürfen wir Ihnen je einen Satz aus diesen zwei Sparten entlocken?
„So ein Mist“ hiesse auf senslerdeutsch so: „chrüz-sack-zement-non-de-tschöwa-de-dieu“ (Sackerblö) und „I ha di gärn“ hiesse auf französisch: „dans tous les mots, je trouve ton nom, de toutes les lèvres, j`entends ta voix, quand je ferme les yeux, j’oublie le monde, et je me retrouve dans tes bras“ (Tout en toi).