Franco Knie im Gespräch

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Franco Knie ist im Jubiläumsjahr insieme-Botschafter. Der technische Direktor des Schweizer National-Circus Knie und Vater eines autistischen Sohnes spricht anlässlich der Gratisvorstellung für Menschen mit Behinderung, die der Zirkus auf seiner Tournee sechs Mal durchführt, über das Leben hinter der Kulisse, über Toleranz, Vertrauen und den Balanceakt zwischen Tradition und Moderne.

Das diesjährige Tournee-Motto heisst „Fascination“. Wie erklären Sie sich, dass Ihr Zirkus in unserem Zeitalter immer noch jung und alt in den Bann zieht?
Der Zirkus Knie ist sich selber und gewissen Traditionen treu geblieben, war aber auch stets für neue Ideen offen. Gerade in der heutigen, schnelllebigen Zeit sehnen sich viele Leute nach Kindheitserinnerungen, bzw. nach Dingen, die über all die Jahre gleich geblieben sind.

Was hat sich in den vergangenen Jahrzehnten am meisten verändert?
Als ich noch ein Kind war, reisten wir alle mit dem Zug, inklusive Zirkuswagen. Fliessendes
Wasser, Strom, Parabolantennen und Fernsehen gab es nicht. Vielleicht war es fast ein bisschen romantischer als heute; das Zusammenleben stand ganz im Vordergrund. Manches verändert hat sich auch bei den Vorstellungen; hier kommen viele technische Raffinessen zum Einsatz, insbesondere bei der Musik und den Lichteffekten.

Wie stark hat die Wirtschaftskrise den Geschäftsgang beeinflusst?
Sie hat sich etwas beim Nebenverkauf bemerkbar gemacht, zum Beispiel beim Konsum von Getränken, aber nicht bei den Besucherzahlen. In der ganzen Geschichte des Zirkus Knie – das wussten schon unsere Vorfahren zu berichten – zeigte sich, dass der Zirkus von schwierigen Zeiten eher profitiert hat. Wenn Sorgen und Probleme die Leute plagen, brauchen sie erst recht Momente zum Abschalten.

Unter dem Zirkusdach sitzen Leute aus allen Gesellschaftsschichten: Wie stellt man ein Programm für ein so heterogenes Publikum zusammen?
Das ist in der Tat nicht einfach. Die Geschmäcker sind sehr verschieden und die Bedürfnisse von Kindern und Erwachsenen nicht deckungsgleich. Deshalb passen wir zum Beispiel bei
der Nachmittagsvorstellung gewisse Programmteile für Kinder an. Doch es gibt durchaus Dinge, manchmal ganz einfache, die allen gefallen: Über einen Clown können sich Erwachsene wie auch Kinder amüsieren.

Marie-Thérèse Porchet lacht uns keck aus den diesjährigen Plakaten entgegen – eine Dame, die in unverblümter Weise über die Deutschschweizer herzieht und dabei kein Klischee auslässt. Wie erklären Sie sich ihren Erfolg?
Bereits der Pantomime Dimitri hat auf die Frage, wieso es so viele Komiker in der Schweiz gebe, geantwortet: Die Leute mögen dieses Ausbrechen. Ein Clown darf sich alles erlauben, dazu gehört auch Provokation. Natürlich ist die Art und Weise, wie er dies tut, entscheidend.
Wir hatten bis jetzt keinerlei negativen Reaktionen auf Marie-Thérèse Porchet, obwohl sie Konflikte zwischen Welschen und Deutschschweizern thematisiert und auch politische Themen touchiert. Aber es ist klar: Komik ist immer Geschmacksache. Über die früheren Zirkusclowns würden die Leute heute nicht mehr so lachen wir früher. Das war eher eine einfache Komik, bei der auch mal eine Torte im Gesicht des Gegenübers landete.

200 Personen aus 18 Nationen sind unter der Zirkuskuppel während der Tournee am Werk. Wie gelingt es, all diese Leute in ein Team zu integrieren?
Eigentlich leben wir wie in einer Grossfamilie, Freddy und ich sind ein bisschen wie Väter; wir sind jeden Tag hier, die Leute können immer zu uns kommen, Probleme versuchen wir sofort zu lösen. Natürlich gibt es Konflikte, aber es sind relativ kleine. Wir arbeiten alle auf das gleiche Ziel hin: die Vorstellung. Dabei sind nicht nur die Artisten, sondern sämtliche Mitarbeiter wichtig. Dieses Gefühl gilt es zu vermitteln. Ganz zentral ist sicher auch Toleranz; bei uns können alle ihre Religion leben, aber wir sprechen nicht über religiöse oder politische Angelegenheiten.

Gibt es Momente, in denen Franco Knie von Sesshaftigkeit, Feierabend um 17 Uhr und einem Leben fernab der Manege träumt?
Wir sind in diesem Umfeld aufgewachsen, für uns ist das Zirkusleben ganz normal. Früher bin ich einmal acht Jahre lang nicht in die Ferien gefahren. Der Zirkusalltag ist in gewissen Momenten sicher sehr intensiv, aber man kann seine Zeit doch auch einteilen. Nach 40 Jahren in der Manege gönne ich mir heute ab und zu kurze Auszeiten.

Sie gelten als grosse Kapazität für Elefantendressur. Welches sind die wichtigsten Regeln im Umgang mit diesen Dickhäutern?
Die asiatischen Elefanten, mit denen wir im Zirkus arbeiten, sind Tiere, die den Kontakt mit Menschen suchen. Damit gestaltet sich die Arbeit mit ihnen einfacher als mit einem Fluchttier wie etwa dem Zebra. Elefanten sind sehr sensibel, haben eine unglaubliche Kraft und wenn sie einem nicht verstehen, kann es gefährlich werden. Alles geht eigentlich über das gegenseitige Vertrauen: Ist dies vorhanden, lässt sich viel erreichen.

Jahr für Jahr dürfen Menschen mit Beeinträchtigung gratis in den Zirkus Knie: Seit wann existieren diese Spezialvorstellungen?
Das war immer so, also seit es den Nationalzirkus gibt. Meine Eltern fanden, man solle auch Leuten eine Freude machen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen.

Ist die Atmosphäre in diesen Vorstellungen anders?
In der Tat: Dieses Lachen, diese Freude – das ist einmalig. Es gab schon Artisten, die nach solchen Vorstellungen Tränen in den Augen hatten.

Sie sind Vater eines Sohnes, der von Autismus betroffen ist. Verfolgt Anthony auch Ihre Vorstellungen?
Er besucht uns jedes Jahr in Genf, wo er in einer Institution lebt.

Wann wurde bei ihm Autismus diagnostiziert?
In unseren Augen verlief seine Entwicklung zuerst völlig normal. Anthony hat auch geredet. Mit zweieinhalb Jahren jedoch begann er, sich innert sechs Monaten plötzlich total zu verschliessen. Wir waren damals ziemlich hilflos, kamen dann aber mit andern Eltern und Institutionen in Kontakt, die das entsprechende Know-How hatten. Das Wichtigste in dieser Zeit war es, Anthony Liebe zu geben, für ihn da zu sein. Mittlerweile ist er 21-jährig, spricht nicht mehr, macht aber auch Fortschritte. Es ist ein ständiges Rauf und Runter.

Waren Sie enttäuscht bei der Vorstellung, dass Anthony nicht in Ihre Fussstapfen treten würde?
Nein, das ist völlig unwichtig. Für alle meine Kinder gilt: sie sollen das machen, was ihnen Freude bereitet. Auch ich wurde von meinen Eltern nie zum Zirkusleben gezwungen.

Sie sind seit über 15 Jahren im Patronatskomitee von insieme Schweiz und im Jubiläumsjahr insieme-Botschafter. Wieso dieses Engagement?
Menschen mit Behinderung gehören zur Gesellschaft, sie müssen integriert werden. Der Handlungsbedarf ist immer noch gross, insbesondere was die Zugänglichkeit von Bauten anbelangt. Und es gibt viele Leute, die nicht wissen, wie sie sich gegenüber Menschen mit Beeinträchtigung verhalten sollen. Deshalb sind Informationen und Begegnungen so wichtig. Auch ich wusste vor Anthony’s Diagnose nichts über Autismus.

Ihre ganz persönliche Botschaft zum 50-Jahres-Jubliäum?
Es braucht Toleranz. Man soll auf andere Menschen, auch solche mit Behinderung, einfach zugehen, ganz normal.

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