Gefährdet und übersehen: Gewalt gegen Menschen mit Behinderungen 

Gepostet am

Menschen mit Behinderung sind in hohem Mass von Gewalt betroffen. Gleichzeitig bleiben sie weitgehend von bestehenden Präventions-, Beratungs- und Schutzmassnahmen ausgeschlossen. Zu diesem Ergebnis kommen das Netzwerk Charta Prävention in ihrem Vertiefungsbericht «Behinderung», der im Anhang des Berichts des Netzwerks Istanbul-Konvention veröffentlicht wurde.  

Viele Menschen mit Behinderung sind im Alltag auf Unterstützung angewiesen. Asymmetrische Beziehungen und Machtverhältnisse erhöhen die Gefahr, Gewalt zu erleben – ebenso strukturelle Faktoren und gesellschaftliche Vorurteile. Dennoch werden die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen in den Massnahmen von Bund und Kantonen zur Gewaltprävention kaum berücksichtig. Sie bleiben weitgehend unsichtbar. Der Bericht sieht deshalb grossen Handlungsbedarf. 

Besorgniserregende Rechtslücken 

Das Netzwerk Charta Prävention erwähnt unter anderem, dass das Schweizerische Zivilgesetzbuch zwar spezifische Schutzmassnahmen für Opfer häuslicher Gewalt vorsieht (Art. 28b ZGB / «Wer schlägt, geht»-Prinzip). Diese Bestimmungen gelten jedoch nicht für Personen, die in Institutionen mit Heimcharakter leben. Das Gremium fordert deshalb: Der Schutz vor Gewalt, der Zugang zu Beratungsangeboten und zu Meldestellen muss unabhängig von der Wohnform respektive der Art der Unterstützung gewährleistet sein. Im Bericht wird die Erarbeitung eines nationalen Gewaltschutzgesetzes vorgeschlagen, das die Rechtslücken schliessen soll. 

Der Bericht fordert einen wirksamen Schutz von Menschen mit Behinderungen vor allen Formen von Gewalt und vor Zwangsmassnahmen. © Wenniel Lun / Unsplash

Schutz ohne Ausnahme 

Weiter fordert der Bericht einen wirksamen Schutz von Menschen mit Behinderungen vor allen Formen von Gewalt und vor Zwangsmassnahmen. Die Art und der Grad der Beeinträchtigung dürfe dabei keine Rolle spielen und auch die Wohnform nicht. Strukturelle Gewalt müsse ernst genommen und ein intersektionaler Ansatz umgesetzt werden, der sich auf Frauen und Männer mit Behinderungen fokussiert. 

Zwangssterilisationen gibt es immer noch 

Der Bericht hebt auch hervor, dass es zu wenig Angebote zur Begleitung von Menschen mit Behinderungen bei Elternschaft gibt und, dass die sexuellen und reproduktiven Rechte von Menschen mit Behinderungen anhaltend verletzt werden. So können Menschen, die als dauerhaft urteilsunfähig gelten, nach wie vor einer Zwangssterilisation unterzogen werden – eine Praxis, für die die Schweiz 2022 vom UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen gerügt wurde. 

 

 

 

 

Folgende Massnahmen listet die Expertengruppe auf: 

  • Schulung von Fachkräften zu den Zusammenhängen zwischen Behinderung und Gewalt; 
  • Stärkung der Kompetenzen von Menschen mit Behinderungen, damit sie Gewalt erkennen, melden und verhindern können; 
  • Ausarbeitung nationaler Strategien und Aktionspläne in direkter Zusammenarbeit mit den betroffenen Menschen und ihren Vertretungsorganisationen.